Grüner Landesvorstand und Parteirat BaWü
Eine Frage der politischen Führungskompetenz
Grüner Wahlkampf und Grünes Wahlergebnis
Landesvorstand, Parteirat sowie die Kandidatinnen und Kandidaten zogen mit dem Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann als Garant für den erwarteten Wahlsieg in den Wahlkampf. Auf jedem Kandidat*innen-Wahlplakat prangte der Slogan „Grün für Kretschmann wählen“. Nicht etwa die „Kandidatin X oder der Kandidat Y für die Grünen“, sondern „Grün“ und damit auch die für jeden Wahlkreis antretenden grünen Kandidat*innen „für Kretschmann wählen“.
Das Ergebnis ist bekannt. Die Grünen, dank ihres Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann, erzielen das für Deutschland historisch höchste Wahlergebnis mit 32,6 % und steigerten das schon 2016 großartige Ergebnis um nochmal 2,3 %
Sie erzielten damit 58 (in Worten achtundfünfzig) von insgesamt 70 möglichen Direktmandaten. Und wenn man nicht völlig vernagelt und verblendet ist, gibt es keinen Zweifel: Der Löwenanteil der Direktmandate ist „Grüne für Kretschmann wählen“ direkt auf das Konto des Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zu buchen.
Die überwältigende Mehrheit der Kretschmann-Wähler*innen haben Kretschmann wegen seiner überzeugenden Person und wegen seiner überzeugenden Amtsführung als Ministerpräsident einer grün-schwarzen Koalition gewählt.
Er selbst hat im Wahlkampf, auch wenn er von schwarz und insbesondere von den Spielchen der Spitzenkandidatin Eisenmann und des Fraktionsvorsitzenden Reinhart oft genervt war, nie das Signal oder gar die Perspektive eines koalitionären Farbenwechsels ausgegeben. Und außer einem bisschen Geraune der Parteioberen, dass eine Ampel vielleicht eine erstrebenwerte Alternative wäre, gab es diesbezüglich nix Verbindliches, keinen Parteitagsbeschluss, keinen Parteiratsbeschluss, keine erkennbare Öffentlichkeitsoffensive oder Ähnliches. Schon gar nicht von Kretschmann selbst.
Grüne Jugend und ihre alternativen Fakten
Diese Fakten sollte auch die grüne Jugend zur Kenntnis nehmen, die in Person ihrer Sprecherin in einem FAZ Interview statt dessen fake news verbreitet wie:
„Die Grünen haben sich während des Wahlkampfs klar gegen die Union ausgesprochen“… „und dann muss man das als Gremium beschließen und nicht alleine vorschnell handeln.“ Die Gremien haben, wenn auch nach überlangen zähen Verhandlungen, mit einer 2/3-Mehrheit entschieden und niemand hat vorschnell oder gar allein entschieden! und „klar haben die Grünen in BaWü immer ein paar Prozentpunkte mehr“ (ein „paar“ Prozentpunkte sind in diesem Fall immerhin 10 plus).
Es ist immer das Privileg der Jugend radikaler und wilder zu denken, zu formulieren und zu handeln, aber bitte schön auf Grundlage von Fakten und nicht von alternativen Fakten, wie wir es aus der PR-Küche von Trump gelernt haben und abscheulich fanden.
Warum keine Grüne Ampel!
Die Wähler*innen wussten woran sie waren und wem sie den überwältigenden Vertrauensbeweis geschenkt haben. Damit haben sie Winfried Kretschmann gleichzeitig das Prae für die Koalitionsentscheidung in seine Hände gelegt.
Jetzt ist ja klar, dass wenn einem das Wahlergebnis die Wahl zwischen zwei Koalitionsmöglichkeiten Grün-Schwarz oder Grüne Ampel beschert, man ernsthaft abwägen muss, welche Alternative zuerst dem Land, dann der Partei und zu Allerletzt, wenn überhaupt, der Befindlichkeit des Vorstands oder der 21 Mitglieder des Parteirats zu Gute kommt.
Um mit der Befindlichkeit der grünen Funktionäre zu beginnen: Es bleibt ihr Geheimnis, warum sie einer SPD, die trotz ihrer stolzen Geschichte nochmals 1,7 Prozent verloren hat und mit gerade einmal 2stelligen 11% in BaWü auf dem Weg zur Splitterpartei ist, im Verein mit der etwa gleichschwachen FDP plötzlich die (imaginäre) Kraft eines „Aufbruchs“ zutrauen.
Einer FDP, die sich bis vor noch nicht allzu langer Zeit unsicher war, ob es einen menschengemachten Klimawandel gibt und die 10 Jahre mit ihrem Vormann Rülke, nicht umsonst von Journalisten mit dem Spitznamen Brüllke bedacht, gegen jede klimapolitische Maßnahme, ob von Grün-Rot oder Grün-Schwarz gewütet hat, und deren einzige politische Stoßrichtung im Landtag ein oft unter die Gürtellinie treffendes Grün-Bashing war.
Und einer SPD, die sowohl auf Bundesebene, da mit der CDU als auch in NRW, dort bedauerlicherweise mit den Grünen (was leider oft der grünen Verdrängung anheimfällt) in Sachen Kohleausstieg und Klimaschutz alles andere als ein aufbruchsbeseelter Vorreiter, sondern ein heftiger Bremser war. Nur zur Erinnerung: Die Erweiterung des Braunkohletagebaus zu Gunsten der RWE, die damit verbundene Ausradierung ganzer Dörfer und die Rodung des Hambacher Forstes wurde maßgeblich von der SPD-Regierung vorangetrieben und die Grünen ließen sich bei diesem rückwärtsgewandten und Zukunfts-Abgewandten Manöver leider mit in die Koalitionshaftung nehmen.
Jetzt ist es mir, als Anhänger von Realpolitik, nicht fremd, dass politische Parteien und ihre Repräsentanten auch lernfähig sind und dass politische Entscheidungen sich nicht von Emotionen dominieren lassen sollten. Was Herrn Rülke und seine FDP angeht, ist für mich aber der Sinneswandel, gestern noch Grün-Bashing der übelsten Sorte und heute Grün-Hofieren für ein Ministeramt, zu atemraubend als dass ich ihm auch nur ein Quäntchen Glaubwürdigkeit zubilligen könnte.
Etwas Anderes und zwar im Kontext des immer wieder, auch von journalistischer Seite, bemühten „politischen Signals“ in Richtung Bundestagswahl kommt hinzu:
Haben die grünen Funktionäre, die 11 Stunden für die Ampelkoalition kämpften und die zwei Durchgänge im Parteirat benötigten, um dem Wahlsieger Kretschmann zu folgen, schon vergessen, dass die FDP es war, die den Grünen 2017 bei den Jamaikaverhandlungen (im Übrigen auch mit der Begründung, „die Grünen wären mit viel zu weitgehenden Forderungen beim Klimaschutz bei der CDU auf Akzeptanz gestoßen“) brüsk die Stühle vor die Tür gesetzt hat? Und sind dieselben grünen Akteure blind dafür, was das in der Diskussion so überhöhte Signal einer Adelung der FDP durch die Aufnahme in eine Koalition unter grüner Führung für die Bundestagswahl bedeutet hätte?
Herr Lindner, der mit den 2% Zugewinn in BaWü (nicht dank eigener Stärke, sondern dank der eklatanten Schwäche der CDU-Spitzenkandidatin) und in Rheinlandpfalz mit dem Überspringen der 5%-Klausel auf magerste 5,5 % schon jetzt vor Stärke kaum laufen kann, würde ab sofort in Berlin das Lied singen können: Wir sind wieder wer! Und das mit gütiger Beihilfe der Grünen. Und das, obwohl uns die Wahlforschung sagt, dass die Grünen im gleichen Wähler*innen-Becken fischen wie die FDP. Auf dieses politische Signal sollten wir als Grüne, in unserem ureigensten Interesse, 5 Monate vor der Bundestagswahl gut und gerne verzichten.
Warum Grün-Schwarz verhandeln!
Warum Winfried Kretschmann, nicht nur weil er als Wahlsieger das Prae hat, richtig liegt und es die politische Konstellation nahelegt, Grün-Schwarz zu verhandeln. Und dies, obwohl die Schwarzen in Form der Landtagsfraktion und der schwarzen Ministerien, mit Ausnahme von Innenminister Strobl und Agrarminister Haug, insbesondere in den letzten zwei Jahren Fundamentalopposition in der Koalition spielten und nie den Führungsanspruch der dem stärkeren Koalitionspartner zufällt, anerkannt hat, was darin gipfelte, dass der CDU-Fraktionsvorsitzende Reinhart – übrigens zusammen mit dem spiritus rector und Treiber dieser Aktion, Herrn Rülke (und auch Herr Stoch von der SPD war mit von der Partie) – mit der Bildung einer sog. Deutschlandkoalition Schwarz-Rot-Gelb Ministerpräsident Kretschmann stürzen wollte. Obwohl auf Betreiben des CDU-Fraktionsvorsitzenden Reinhart die verabredete Wahlrechtsreform gekippt wurde (was sich anerkanntermaßen als Boomerang für die CDU ausgewirkt hat) und obwohl in den 12 Monaten vor der Wahl die Spitzenkandidatin Eisenmann die Koalition als Feld der Konfrontation und nicht der Kooperation, wie zuvor Strobl, bespielt hat (im Übrigen auch zum Schaden der Union, obwohl es seit Mappus evident war, dass Konfrontation gegen Kretschmann und Grün sich nicht auszahlt); obwoh das alles prima vista gegen eine erneute Verhandlung Grün-Schwarz spricht, ist es doch die richtige Entscheidung.
Die gesellschaftliche und politische Mehrheits-Stimmung im Lande des konservativ geprägten Mittelstands ist schon seit je her Grün-Schwarz oder zuvor Schwarz-Grün. Daran ist von der anderen Seite Mappus, der die unbedingte Konfrontation zu seiner Leitlinie machte, bereits gescheitert.
Eine Regierung gegen eine gesellschaftliche Mehrheit zu führen ist, wenn es nicht sein muss, nicht unbedingt empfehlenswert.
Und zwar umso mehr dann nicht, wenn – wie in BaWü immer noch der Fall – die CDU (zunehmend zusammen mit den Grünen) auf regionaler und kommunaler Ebene in den Gemeinderäten und in den Regionalverbänden traditionell stark verankert ist, die FDP dort keine Rolle spielt und die SPD stark an Bedeutung verloren hat. Da wir es mit der Landesverfassung, mit der Allzuständigkeit der Kommunen, starken Kommunalverfassungen, starken Bürgermeistern und den Planungszuständigkeiten der Regionalverbände, mit einem ausdifferenzierten System von checks und balances zu tun haben, ist es nicht möglich, per (grünem) ordre de mufti von oben durch zu regieren.
CDU: raus aus dem Bremserhaus
Klar ist auch, dass bisher die CDU auf und in diesen Ebenen häufig genug als Bremser und Blockierer agiert hat.
Diese Haltung muss sie, sowohl was die Landesebene als auch die nachgeordneten Gebietskörperschaften angeht, aufgeben. Das muss auch in dem zu verhandelnden Koalitionsvertrag deutlich werden. Im übrigen ist dies, auch in ihrem wohlverstandenen eigenen Interesse einer vor allem inhaltlichen Erneuerung, wenn die Union ihre Abwärtsbewegung der letzten zwei Jahrzehnte nicht fortsetzen will.
Das wird nicht ohne Reibungen und nicht ohne Konflikte abgehen. Umso wichtiger ist es, dass es eine belastbare persönliche koalitionäre Vertrauensachse gibt (die mit Eisenmann kaum zu schmieden gewesen wäre), die bekanntermaßen zwischen den Topakteuren der Koalition Kretschmann und Strobl existent ist und die nach Jahrzehnten übelster bis ins Persönliche gehender Attacken auch bei noch so hohem Konsum an Kreide von Rülke nicht denkbar wäre.
Und trotz aller Aufbruch- und Erneuerungszimbeln und Schalmaien aus den Reihen der Befürworter einer Ampel gilt es zunächst, das Ergebnis der Verhandlungen zu beurteilen. Blockade und Stillstand kann sich die CDU nicht mehr leisten. Das muss nach diesem desaströsen Wahlergebnis jedem einigermaßen offenen CDU-Akteur sonnenklar sein, es sei denn, er ist von gestern. Im Gestern bleiben hieße aber auch, die Politik-und schon gar die Regierungsfähigkeit der CDU würde auf der Strecke bleiben.
Führungskompetenz des Vorstands
Und an die Adresse der grünen Entscheidungsträger aus Vorstand und Parteirat: Am 31. 03.21 für die jetzt vorliegende Entscheidung 11 Stunden zu verhandeln und am 04.04.21 noch einmal zwei Durchgänge zu benötigen, um knapp an einem handfesten Aprilscherz mit desaströsen Folgen vorbei zu schrammen, spricht nicht gerade für Führungsstärke und Souveränität. Das gilt in erster Linie für die Vorstände Hildenbrand und Detzer, die offensichtlich 11 Stunden benötigten, um bei der beschriebenen und ihnen auch klaren Ausganglage ihre favorisierte Ampel-Option aufzugeben. Dass sie damit den nachfolgenden Parteirat geradezu ermutigten, das gefährliche Spielchen zu wagen, den strahlenden Wahlsieger Kretschmann zu beschädigen, muss ihnen klar gewesen sein. Dass sie und der Parteirat dann potenziert trotzdem dieses Spiel gespielt haben, ist nur psychologisch und nicht politisch zu erklären. Die pubertierenden Halbwüchsigen rebellieren gegen den dominanten Übervater!
Psychologisch nachvollziehbar, politisch aber kein Empfehlungsschreiben für Führungsaufgaben. Und wenn ich höre, dass unter den besonders heftigen Verfechter*innen der Ampel auch Bundestagskandidat*innen waren, dann bin ich sehr gespannt, ob sie das Direktmandat holen. Dann bin ich gespannt, ob sie die Bundestagswahl so entscheiden, dass sie ohne und gegen die CDU regieren können, was ich im Bund freudig begrüßen würde. Wobei ich diesbezüglich beruhigt und gelassen bin, da ich – genauso wie im Land zu Kretschmann – im Bund zu Baerbock und Habeck größtes Vertrauen in deren politische Klugheit habe.
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